Adolf Reichwein (1898-1944)

„Ich kann nicht glauben, dass man einfach eine neue Kultur durch Umgestaltung der ‘Verhältnisse’ ‘machen’ kann; ich glaube vielmehr, dass Kultur ein Produkt aus überlieferten Werten und neuem Formwillen ist, ich glaube nicht, dass Wissen Religion ersetzen kann, vielmehr scheint mir Religion die ursprünglichste und vollkommenste Form menschlicher Erlebnismöglichkeit zu sein“, schrieb der religiöse Sozialist Adolf Reichwein 1922 an seinen Vater.

Am 3. Oktober 1898 wurde Adolf Reichwein als ältestes Kind des Volksschullehrers Karl Reichwein und seiner Frau Anna Maria, geborene Mehl, in Bad Ems geboren. Die Familie siedelte bald nach Oberrosbach, einem Ort in Mittelhessen, über. In dieser ländlichen Region wuchs Reichwein auf. Hier lernte er auch die Wandervogelbewegung kennen, die ihn mit ihren Fahrten und ihren kameradschaftlich geprägten Zusammenkünften stark beeinflußte.

Noch vor seinem Abitur meldete sich Reichwein als Freiwilliger zum Militär, nahm am 1. Weltkrieg teil und wurde schwer verwundet. Die Kriegserfahrungen ließen ihn zum entschiedenen Kritiker des kaiserlichen Deutschland werden und die junge Republik nach dem Weltkrieg wurde von ihm lebhaft begrüßt.

1918 begann Reichwein das Studium der Geschichte, Philosophie und Volkswirtschaft in Frankfurt/M., 1920 wechselte er nach Marburg. Er veranstaltete ein gemeinsames Lager von Studenten und Arbeitern, um die getrennten Klassen der Arbeiterschaft und der alten bürgerlichen Kreise in persönlich nahe Berührung zu bringen.

Nach seiner Promotion zum Dr. phil. in Marburg mit einer Arbeit über China und Europa widmete sich der Pädagoge Reichwein der Erwachsenenbildung. Er leitete die Volkshochschule in Jena und gründete ein Heim für junge Arbeiter, mit denen er zusammenlebte und kulturelle Veranstaltungen und gemeinsame Fahrten unternahm.

1926/27 führte ihn eine einjährige Forschungsreise von Nordamerika und Mexiko bis nach Japan und China. Anschließend veröffentliche Reichwein sein vielbeachtetes Werk über „Die Rohstoffwirtschaft der Erde“.

1928 referierte er bei einer Tagung der schlesischen Arbeitslagerbewegung in Löwenberg.

1929 berief ihn der preußische Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Carl Heinrich Becker, zu seinem persönlichen Referenten.

Im April 1930 übernahm Reichwein eine Professur für Geschichte und Staatsbürgerkunde an der Pädagogischen Akademie in Halle. Er trat der SPD bei und wurde führender Mitarbeiter im Kreis der Religiösen Sozialisten um Paul Tillich und deren Zeitschrift „Neue Blätter für den Sozialismus“.

Am 1. April 1933 heiratete er die Dozentin Rosemarie Pallat.

Kurz nach der Machtergreifung der Nazis wurde Reichwein als Professor in Halle aus politischen Gründen abgesetzt. Er schlug Emigration und Auslandsprofessur aus und verbrachte die folgenden Jahre als Landschullehrer in Tiefensee bei Berlin. Hier schuf er ein schulpädagogisches Modell, das er in dem vielbeachteten Werk „Schaffendes Schulvolk“ dokumentierte.

Im Mai 1939 wurde Reichwein zum Leiter der Abteilung „Schule und Museum“ beim Volkskundemuseum in Berlin berufen. Sein Dienstsitz im Prinzessinnenpalais entwickelte sich zu einem wichtigen Zentrum geheimer Widerstandskontakte. Die Sozialdemokraten Haubach und Mierendorff brachten Reichwein mit Moltke in Verbindung, den er aus Löwenberg kannte. An der 1. und 3. Tagung in Kreisau nahm Reichwein als Kultur- und Bildungsexperte teil. Er prägte maßgebend das Kulturprogramm des Kreisauer Kreises. Für die Zeit nach dem Umsturz war Reichwein als Kultusminister vorgesehen.

Gemeinsam mit Julius Leber nahm Reichwein Kontakt zu Vertretern des kommunistischen Widerstandes auf. Diese Kontakte führten aufgrund einer Denunziation zu seiner Verhaftung am 4. Juli 1944. In der Folge war er schwersten Mißhandlungen durch die Gestapo ausgesetzt.

Am 20. Oktober 1944 verurteilte ihn der Volksgerichtshof zum Tode. Noch am gleichen Tag wurde Adolf Reichwein in Berlin-Plötzensee ermordet.

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