Kreisauer Kreis

Während viele deutsche Widerstandsgruppen vor allem einen Regimewechsel planten und entweder über den Aufruf zum Widerstand, die Vorbereitung eines Attentats oder andere Maßnahmen die Herrschaft der Nationalsozialisten beenden wollten, dachten die Mitglieder des später so genannten Kreisauer Kreises über die Gestalt eines neuen Deutschlands nach Hitler nach.

Der "Kreisauer Kreis", der sich zum Zentrum des bürgerlich zivilen Widerstands entwickelte, war keine festgefügte politische Vereinigung. Er bestand aus mehr als 20 Aktiven und ebenso vielen Sympathisanten und vereinte Sozialdemokraten und Konservative sowie Angehörige beider großen Konfessionen. Gemeinsam war ihnen die ablehnende Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus und der Wille, eine Neuordnung für Deutschland nach dem Ende des NS-Regimes zu entwickeln.
Zentrum des Kreises waren Helmuth James von Moltke, ein Urgroßneffe des preußischen Feldmarschalls, und Peter Yorck von Wartenburg, Sproß einer alten preußischen Adelsfamilie.

Die Kreisauer trafen sich meist in kleineren Gruppen in Moltkes Berliner Wohnung, in den verschiedenen Büros oder bei Yorcks in der Berliner Hortensienstraße. Da zumeist nur zwei oder drei Personen an solchen Treffen teilnahmen, wussten viele der Teilnehmer nicht wirklich, wer alles zum Kreis gehörte. Lediglich Moltke und Yorck hatten Kontakt zu allen Beteiligten und koordinierten die Diskussion der Konzepte. Auf den zahlreichen kleineren Treffen wurden Arbeitspapiere und Entwürfe in kleinem Kreis diskutiert, aufeinander abgestimmt und verändert. Nur auf drei größeren Sitzungen, die im Frühjahr und Herbst 1942 sowie im Frühjahr 1943 auf dem Gut Moltkes, im Berghaus in Kreisau stattfanden und an denen zwischen zehn und zwanzig Personen teilnahmen, besprach man die Entwürfe dann in einem größeren Kreis.

Die „Kreisauer” sahen sehr früh „nicht nur die Verwüstungen der Städte, sondern auch die entsetzlichen Verwüstungen in den Köpfen und Herzen der Menschen“ (Moltke). Sie wussten, dass zu einer funktionierenden Demokratie die Teilhabe und das Verantwortungsbewusstsein ihrer Bürgerinnen und Bürger gehört. Schon 1939 hat Moltke sein Demokratieverständnis in einem Text über die „Kleinen Gemeinschaften” formuliert:

Gegenüber der großen Gemeinschaft, dem Staat oder etwaigen noch größeren Gemeinschaften, wird nur der das rechte Verantwortungsgefühl haben, der in kleineren Gemeinschaften in irgendeiner Form an der Verantwortung mitträgt ...

Der Kontakt zum militärischen Widerstand war für die Kreisauer wichtig, da man sich hier den Sturz des Regimes erhoffte, allerdings nicht durch ein Attentat und die Tötung Hitlers, sondern durch dessen Gefangennahme. Die "Rechtsschänder" sollten vor Gericht gestellt und für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden. Nachdem einige dieser Versuche scheiterten, schlossen sich auch Mitglieder des Kreisauer Kreises, unter ihnen Adam von Trott zu Solz, Eugen Gerstenmaier und Julius Leber und Peter Yorck, der Verschwörung um Claus Schenk von Stauffenberg an, die am 20. Juli ein Attentat auf Hitler versuchte. Moltke lehnte ein solches Attentat ab, da er eine neue Dolchstoßlegende mit all ihren negativen Auswirkungen fürchtete.

Doch auch mit anderen Gruppen des deutschen Widerstands standen die Kreisauer in engem Kontakt, so etwa mit den Kirchen - u.a. mit Bischof Preysing in Berlin, Kardinal Faulhaber in München, Bischof Dietz in Fulda und dem Württemberger Landesbischof Wurm - und dem Goerdeler-Kreis, wenngleich dessen Nachkriegspläne für Deutschland und Europa in den Augen der Kreisauer zunächst nicht annehmbar waren.

Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler wurden zahlreiche Kreisauer verhaftet, acht von ihnen wurden bis Anfang 1945 im Berliner Gefängnis Plötzensee hingerichtet. Helmuth James von Moltke konnte eine Beteiligung am Attentat nicht nachgewiesen werden. Er wurde allein für das Denken über die Zukunft nach einem Sturz Hitlers verurteilt und am 23. Januar 1945 in Plötzensee hingerichtet. "… wir werden gehenkt, weil wir zusammen gedacht haben", schreibt Moltke in einem seiner letzten Briefe vom 10.1.1945 aus dem Gefängnis.

Schon nach der Verhaftung Moltkes im Januar 1944 existierte der Kreisauer Kreis faktisch nicht mehr, und die einzelnen Kreisauer trafen sich lediglich unabhängig voneinander. Durch Peter Yorck wurde die Arbeit weitergeführt und mit den Vorbereitungen des militärischen Widerstandes für ein Attentat verbunden.

Wenn der Lauf der Geschichte auch eine andere Entwicklung genommen hat,  bleibt es doch das wesentliche Verdienst der Kreisauer, über eine staatliche und gesellschaftliche Neuordnung Deutschlands innerhalb einer gesellschaftlich möglichst vielfältig zusammengesetzten Gruppe nachgedacht zu haben.

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